Ein wichtiger Freund

Als Kurt Hiller 1947 in seinem Londoner Exil einen Artikel Eva Siewerts in der wieder gegründeten Zeitschrift Die Weltbühne liest, setzt er sich umgehend mit ihr in Verbindung. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

In seinen Briefen lobt er Eva Siewert als bedeutendste Essayistin im Berlin der Nachkriegszeit, bezeichnet sie euphorisch als eine „sokratisch-mozarteske Jeanne d’Arc deutscher Prosa“ und sieht in ihr eine „Schwester im Geiste“. In ungewohnt gefühlvollen Wendungen bekundet er, „im Herzen [s]eines Hirns“ zucke „wilde Freundschaft“ für sie. Noch Jahre später scherzt Kurt Hiller – wohl wissend, dass Eva Siewert Frauen liebte – nach einer ähnlichen Sympathiebekundung: „Die Gefahr, dass Sie in diesem Bekenntnis einen verstecken Heiratsantrag sehen, besteht ja wohl nicht.“

Cover der Zeitschrift Die Weltbühne

Bei der Spurensuche nach Eva Siewert ist Kurt Hiller eine zentrale Figur. Der Essayist und unbequeme Querdenker war ein eifriger Briefschreiber. Heute sind allein im Archiv der Kurt Hiller Gesellschaft in Neuss 2345 fein säuberlich sortierte Mappen mit insgesamt 29267 Briefen erhalten, darunter 60 Briefe, die Hiller von Eva Siewert erhalten hat. Sie geben vielfach Auskunft über ihre Lebenssituation und Gedankenwelt.

Streiter für Entkriminalisierung

Der streitbare Schriftsteller und studierte Jurist Kurt Hiller (1885–1972) war 25 Jahre lang einer der markantesten Mitarbeiter Magnus Hirschfelds im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK). Der Organisation, die sich den Kampf für die Entkriminalisierung der männlichen Homosexualität in Deutschland auf die Fahnen geschrieben hatte, gehörte er von 1908 bis zu seinem von den Nationalsozialisten aufgezwungenen Ende 1933 an. Von 1924 bis 1933 zählte Kurt Hiller ebenfalls zu den aktivsten Autoren der Zeitschrift Die Weltbühne. Seinen sexualpolitischen Standpunkt hatte er bereits in seiner Dissertation Das Recht über sich selbst 1908 erstmals formuliert, und zwar unter seinem Klarnamen. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo und der Internierung in verschiedenen Konzentrationslagern gelang ihm 1934 die Flucht in die Tschechoslowakei, von wo er Anfang 1939 nach England weiterflüchtete.

Kampf gegen §175 StGB

Nach 1945 war Kurt Hiller als einer der wenigen noch lebenden Aktivisten und Mitarbeiter Hirschfelds einer der gefragtesten Ansprechpartner von selbsternannten Vertretern der neuen deutschen Homosexuellenbewegung, die an das Erbe Hirschfelds und des WhK anknüpfen wollten, um eine Liberalisierung der deutschen Strafgesetzgebung zur männlichen Homosexualität zu erreichen. Der § 175 (R)StGB stellte in der von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Form jegliche sexuelle oder als sexuell bewertbare Handlung unter Strafe, und er bestand in der Bundesrepublik unverändert fort. Er wurde zwar 1969 und 1973 reformiert, fiel aber im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erst 1994 ganz.